Interview mit Milchbengel Ultra
Wir haben den Hamburger Street Artist zum Interview getroffen und mit ihm über seine ersten Berührungspunkte mit Street Art, die Geschichte hinter hinter den ‘Milchbengeln’ und seine Leidenschaft zu alten Gemälden gesprochen.
Urbanshit Gallery: Wer oder was steckt hinter dem immer wiederkehrenden Charakter Milchbengel und was stellt er dar?
Der Milchbengel ist und war schon immer er selbst. Vielleicht leicht inspiriert durch meinen Opa, der selber zur See gefahren ist. Vielleicht steckt in jedem Hamburger und Hamburgerin aber auch einfach ein Stück maritime Verbundenheit. Ich habe keine Ahnung.
Wie hat sie der ‘Milchbengel’ über die Zeit entwickelt?
In den Anfängen zeichnete ich ihn immer sehr dünn, lang und oftmals wie eine Spirale gedreht. Also eher das Gegenteil von meinem Opa (lacht). Oft trug er dann rot weiß gestreifte Oberteile. Irgendwann entwickelte sich aus dem schlaksigen Typ der Milchbengel, wie er heute zu sehen ist. Vielleicht ist das aber auch noch nicht das Ende. Die Entwicklungen passieren eher unbewusst und Stück für Stück. Wobei es allerdings kein Getüddel gibt, sind seine Augen – Weiß und leer wirken sie trotzdem lebendig. Wenn Menschen schon einiges erlebt haben in ihrem Leben, kann man diese Erlebnisse in ihren Augen ablesen – beim Milchbengel ist es der endlose Ozean, der sich in ihnen wieder spiegelt.
Gibt es eine Geschichte hinter deinem Künstlernamen?
Die gibt es und sie ist schnell erzählt. Ich wurde früher einmal von einem Süddeutschen, bei einer Meinungsverschiedenheit, als Milchbengel „beleidigt“. Das hat so gut geklappt, dass ich lachen musste, sofort mein Smartphone gezückt habe und mir diesen Ausdruck notiert habe, um es später nicht zu vergessen.
Immer mal wieder habe ich versucht „Milchbengel“ irgendwo zu benutzen, aber als ich das erste mal dann diesen kleinen, spaddeligen Seemann gemalt habe, wusste ich: Das ist ein Milchbengel. Und weil ich den Ausdruck meiner Entzücktheit noch steigern wollte, brauchte es noch ein Eskalationswort. Super,… Mega,.. ULTRA! Und so wurde aus dem einfachen Milchbengel MILCHBENGEL ULTRA. Jeder gute Name hat eine gute Geschichte. Ich weiß nicht ob diese Geschichte gut ist, aber der Name ist es auf jeden Fall.
Erzähl uns ein bisschen was von Deiner künstlerischen Laufbahn?
Als Kind habe ich Hörspiele „abgemalt“ und so zig Comics erstellt. Meine Eltern haben mehrere Ordner voll mit meinen Zeichnungen. In der Jugend habe ich angefangen meine Emotionen mit Bildern zum Ausdruck zu bringen. Ich habe einfach immer und überall gemalt. Das wurde dann irgendwie auch mein erster Schulverweis, als es dann mit Graffiti los ging. Ich habe sehr viel Zeit nachts auf den S-Bahngleisen rund um Bergedorf verbracht und daraus resultierend auch mal auf der Wache oder im Gerichtssaal. Aber der Drang einfach überall dein „Zeichen“ zu hinterlassen war stärker, als die Vernunft. Malen war und ist einfach notwendig wie atmen.
Viele Jahre und Euros später kam ich auf die Idee mein Geld mal wieder für Urlaube, anstatt Anwaltskosten auszugeben. Und ich brauchte eine Alternative zu dem Edding, der mir regelmäßig meine Jackentasche oder Jeans eingesaut hat. So kam ich dann zur Streetart. Und irgendwann begannen sich die Menschen für den Bengel zu interessieren. Und auf den ersten Ausstellungen verkauften sich plötzlich Bilder. Und so ging es dann los, neben der Streetart auch Galerie Bilder zu malen. Aber die Notwendigkeit sein „Zeichen“ überall zu lassen, wo man vorbei gekommen ist, ist nach wie vor stark in mir verwurzelt.
Wann bist Du das erste Mal mit Street Art in Berührung gekommen und warum hat sie Dich nicht mehr losgelassen?
Wie gesagt, komme ich aus der Graffiti Ecke. Ich muss dazu gestehen, dass nur Buchstaben zu malen mir irgendwann zu langweilig wurde. Und die Kostennutzen Problematik hatte ich auch bereits erwähnt. Ich fuhr also eines Tages in der Regio in Richtung Kiel – das Tag in der Bahn noch frisch und der schwarze Tintenfleck auf Kniehöhe meiner Hose ebenfalls. Da sehe ich an einem verlassen Stromhäuschen neben der Line einen gesprühten Elefantenrüssel, der aus einem Loch kommt. (Künstler: Hidingelephants) Der Künstler hatte es geschafft eine Überraschung in mir hervor zu rufen. Das war irgendwie Graffiti, aber auch irgendwie nicht. Es war überraschend und interessant zu gleich. Und ZACK war ich fokussiert auf die Idee: Kunst die den Menschen an öffentlichen Orten überrascht. Da öffnete sich eine ganz neue Welt. Und ich begann mir sofort zu überlegen, was mein „Symbol“ sein könnte und wie ich damit überraschen könnte.
Du bist immer noch aktiv auf der Straße unterwegs. Machst aber auch vermehrt Werke für Ausstellungen. Wie wichtig ist Dir die Balance?
Mir ist die Straßenarbeit ehrlich gesagt wichtiger als die Galerie Welt. Sie hat mir so schöne Nächte beschert. Ich habe so viele nette Künstler*Innen kennengelernt, zu denen ich heute einige zu meinen Freunden zähle. Selbst im Urlaub nimmst du kurz vorher mit Leuten aus der Stadt Kontakt auf und schon bist du mit der Creme de la creme von Porto Paste-ups kleben. Die Szene ist sehr herzlich und ich liebe es. Allerdings liebe ich es auch und Danke jedem Menschen, der sein hart verdientes Geld nimmt und sich eins meiner Bilder über den Esstisch hängt. Das gibt mir eine Bestätigung mit meiner Kunst weiterzumachen. Es macht mir unfassbar Spaß in Ausstellungen zu sein und Leute zu beobachten wie sie vor meinem Bild stehen und was sie dann erzählen oder wie sie gucken. Das kann ich stundenlang machen. Es macht mich auch irgendwie stolz.
Wie würdest du deine Kunst mit wenigen Worten beschreiben?
Klare Linien, weicher Kerl.
Du malst deine ‚Bengel‘ meist auf alte Gemälde. Wieso? Was macht für Dich den Reiz aus?
Das ist eine sehr gute und auch sehr wichtige Frage. Manchmal kommen Menschen auf mich zu und sagen, dass sie es nicht gut finden, dass ich diese schönen Bilder „verschandele“. Ich für meinen Teil empfinde es mehr so, als würde ich diesen Bildern ein zweites Leben schenken. Wir alle haben ‘die alten Schinken’ bei unseren Großeltern an der Wand gesehen und verbinden Emotionalitäten mit den goldenen Prunkrahmen, angefüllt mit kitschigen Landschaftsszenerien. Aber die Wenigsten hängen sich diese, aus der Mode gekommenen Bilder, in die Wohnung. Sie landen in Kellern, auf Dachböden und im schlimmsten Fall auf dem Müll. In den meisten Fällen landen sie auf dem Flohmarkt. Da hol ich sie dann ab.
Es gibt zig schöne Bilder, gemalt von Künstlern, die es nicht in die großen Museen geschafft haben. Und ihre Bilder werden wie Sperrmüll behandelt. Ich nehme diese Bilder und gestalte sie neu mit meinem Milchbengel. Ich schaffe den Bruch zwischen Omas Guter Stube und fancy Hipster WG. Der Milchbengel nimmt die unbekannten Künstler quasi mit in die Gegenwart. Aus Respekt vor den Künstlern versuche ich, soweit es geht, ihre Signaturen offen zu lassen. Sodass es zu einer Art Collabo wird. Es kann aber auch mal passieren, dass mir ein Bild so gut gefällt, dass ich da keinen Milchbengel drauf male. Dieses Bild ist dann so schön gemalt, dass es für mich zeitlos ist. Und dieses Bild hängt jetzt bei mir im Wohnzimmer. Ohne Bengel.
Welche Materialien benutzt Du sonst noch für Deine Werke?
Meine Hauptmaterialien sind Sprühdosen und Molotow One4All Acryl Marker. Ich möchte mich ein bisschen mehr Richtung Pinsel entwickeln, aber generell stehe ich und diese borstigen Stöckchen eher auf dem Kriegsfuß. Als Untergrund male ich auch sehr gerne auf alten Tabletts aus Metall oder Holz.
Hast Du schon das fertige Motiv im Kopf, bevor Du die Wand siehst oder lässt Du dich auch von der jeweiligen Umgebung oder dem Hintergrund beeinflussen?
Ich lasse mich vom Hintergrund leiten. Und was man da so mit machen kann. Kann da vielleicht noch ein Tierchen mit rein oder ein kleines Statement? Das entscheide ich spontan. Ich fühle mich in das Motiv rein und oftmals entsteht auch so der Gesichtsausdruck des Bengels. In jedem Fall versuche ich in den Landschaftsbildern Oz. zu gedenken, indem ich sein Tag irgendwo auf einem Stein oder einer Wand verstecke.
Hast Du Vorbilder oder stetige Inspirationsquellen?
Vorbilder würde ich nicht sagen. Aber ich feiere sehr viele Künstler*innen, mit denen ich auch teilweise Kontakt habe. Deren Energie motiviert und inspiriert mich sehr häufig. Und Erfolge oder Ausstellungen motivieren mich, mehr zu tun.
Was wünscht Du dir, dass Deine Werke beim Betrachter auslösen?
Sie sollen den Menschen einfach ein „Feel-Good“ Gefühl geben, wenn sie es betrachten. So wie es das Landschaftsbild tut, was ich in meinem Wohnzimmer hängen habe.
Vielen Dank!
Sehr gerne.
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